Sunday 28 December 2008

“Ein halber Christ ist ein ganzer Unsinn”

Wir sind eine internationale Familie: Ich bin Deutsche, geboren und aufgewachsen in Lüdenscheid; mein Mann ist Malteser. Wir leben in Malta, doch unser ältester Sohn besucht nun eine englisch geprägte Internatsschule in Frankreich. Wie mag das wohl kommen?

Mein Mann und ich hatten über Chavagnes International College gelesen und wussten, dass es eine auβergewöhnliche Schule ist, vor allem weil sie sehr bewusst katholisch ist, ja geradezu als Antwort auf allzu angepasste katholische Schulen gegründet wurde. Uns gefiel der Ansatz, den Glauben in die Mitte des Schullebens zu stellen und ohne Abstriche zu lehren. “Ein halber Christ ist ein ganzer Unsinn” lautet ein Satz, den ich aus meiner Jugend kenne. Wenn Gott da ist und uns nah ist, uns liebt und etwas mit uns vorhat, sollte nichts natürlicher sein, als dass wir ihn ganz Herr sein lassen. Warum soll das nicht auch für Schulen gelten?

Als wir 2007 Urlaub in Frankreich machten, haben wir Chavagnes besucht. Es waren Sommerferien: im Internat war es ruhig und still. Der Rektor hatte uns erwartet. Er hat sich Zeit für uns genommen, die Schule gezeigt und erklärt. Wir lernten auch ein Lehrerehepaar kennen. Wie der Rektor, beeindruckten uns auch diese beiden als herzliche, nette Leute, ihres Glaubens sicher und froh. Die Schule selbst, so zeigte sich, hat keinerlei überflüssigen Luxus. So schlafen die 10-13jährigen Jungen in einem groβen Schlafsaal, die älteren in Drei- und Vierbettzimmern. Chavagnes International College ist ein Internat im alten Stil: einfach, aber zweckmäβig – und in einem schönen alten Gebäude in einem idyllischen Dorf gelegen.

Unser Sohn, damals elf Jahre alt, war begeistert. Es spielte sicher eine Portion Abenteuerlust mit; dazu kam aber, dass er sich instinktiv wohl fühlte – sowohl an dem Ort als auch mit den Leuten. Waren wir mit der Einstellung gekommen, wir würden uns Chavagnes einmal ansehen, um dann unseren Sohn vielleicht in ein paar Jahren dorthin zu schicken, so standen wir plötzlich vor der Frage, ob wir ihn, wie er es sich nun brennend wünschte, sofort für das bald beginnende Schuljahr anmelden sollten. Nach zwei im Dorf verbrachten Tagen, nach Gesprächen, Abwägungen und Gebeten haben wir uns dafür entschieden. Als wir dann wieder zurück zu Hause waren, hatten wir gerade mal 10 Tage, um Uniform und Ausrüstung zu besorgen, bevor unser Sohn wieder abgereist ist: zu seiner neuen Schule!

Dass wir ein Internat für unseren Sohn überhaupt in Betracht zogen, hat verschiedene Gründe: zum einen war mein Mann als Junge selbst Internatsschüler und hat das als sehr bereichernd empfunden. Hinzu kommt der Character unseres Sohnes: Er ist emotional ziemlich unabhängig, abenteuerlustig und war immer eher ein Einzelgänger, der im Umgang mit Mitschülern niemals Kompromisse machte, um akzeptiert zu werden. So wollte er sich zum Beispiel nie für einen Fussballclub erwärmen, nur weil alle anderen von ihm begeistert waren.

Im Internat dagegen teilen alle Schüler so viele Erlebnisse miteinander, dass solche schulfremden Interessen belanglos sind. Dort gehört er ganz und gar dazu: er setzt sich im Sport voll ein, beteiligt sich an Debatten, Theaterproduktionen und dem Photoclub; er hat seinem ‘Haus’ zuliebe, für das es Punkte zu gewinnen galt, auch beim Vortragen von Gedichten mitgemacht, was ihn sonst weniger interessiert hätte; ja er vermittelt zwischen Mitschülern, wenn die mal versucht sind, sich wegen ihrer verschiedenen Nationalitäten gegeneinander abzugrenzen. Denn die Schule ist wirklich international: sie folgt zwar vor allem dem britischen Lehrplan und somit sind Jungen aus England und Wales die Hauptzielgruppe, aber es gibt auch etliche Franzosen und eine Gruppe von spanischen Jungen. Wer bei seiner Ankunft in Chavagnes noch nicht flieβend in Englisch ist, wird es meist innerhalb eines Trimesters (einem Drittelschuljahr; drei bis dreieinhalb Monate). Bei Französisch, das ja nicht die Hauptsprache der Schule ist, dauert es etwas länger, aber nach einem Jahr konnte mein Sohn, der vorher fast keine Französischkenntnisse hatte, die Sprache gut verstehen und sich auch recht gut ausdrücken.

Dazu haben sicher auch die Freundschaften im Internat beigetragen. Seine bisher vier ‘half-term’-Ferien in der Trimestermitte (jeweils eine Woche einschlieβlich beider Wochenenden) hat mein Sohn als Gast bei den Familien von Schulfreunden verbracht, zweimal in England und zweimal in Frankreich. Nach Hause kommt er nur zu Weihnachten, Ostern und im Sommer, was ihm nichts ausmacht. Er sagt, in der Schule sei immer so viel los, dass er gar nicht dazu komme, Heimweh zu haben. Mir allerdings wird die Zeit manchmal lang, bis ich ihn wiedersehe, zumal er ziemlich schreibfaul ist und auch nicht gerne anruft. Um sich als Mutter nach über einem Monat Funkstille keine allzu groβen Sorgen machen zu müssen, ist es schon wichtig, der Schule voll vertrauen zu können!

Als ich Chavagnes neulich besuchte, um meinen Sohn zu den Ferien abzuholen, und zwei Tage dort verbrachte, mit Lehrern sprach, Theaterproben und -aufführungen ansah und ganz allgemein am Ausnahme-Schulleben kurz vor den Ferien teilnehmen durfte, war ich von mehreren Dingen stark beeindruckt: Da war zum Beispiel die Festlichkeit der täglichen Messen, durchdrungen vom Gefühl der Heiligkeit Gottes. Da war die freundschaftliche Atmosphäre zwischen den Jungen, ihr Respekt für die Lehrer und ihre ungezwungene Höflichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber einer relativ Fremden wie mir. Und da waren die Lehrer, bei denen zu spüren war, dass sie als eine Gemeinschaft im Glauben leben: dass ihre Motivation, in Chavagnes Lehrer zu sein (und gute Lehrer zu sein, die sich voll einbringen) aus ihrem gelebten Glauben kommt und dass sie alle an einem Strang ziehen.

Schulisch tut meinem Sohn Chavagnes gut: Die Klassen sind klein; die Lehrer kümmern sich wirklich um jeden einzelnen Schüler, kennen seine Stärken und Schwächen und fördern ihn so gut es geht. So hat die Mathelehrerin meinen Sohn letztes Jahr ermutigt, an einem britischen Schülerwettbewerb für Mathematik teilzunehmen, auf den sie ihn dann auch vorbereitet hat. Er hat auf eine Bronzemedaille gehofft und Silber geschafft! Seine durchaus vorhandene Faulheit muss im Internat in Grenzen bleiben, denn alte Methoden der Hausaufgabenvermeidung ziehen nicht mehr. Eine klare Stärke der Schule liegt bei den Sprachen: Zu Englisch und Französisch kommen Spanisch und Latein.

Chavagnes hat eine ganz besondere, ausgeprägte Identität. Die meisten Jungen scheinen wirklich stolz auf ihr Internat zu sein – mein Sohn ist es ganz bestimmt! In gewisser Hinsicht ist es eine Oase: der Glaube ist hier so selbstverständlich, so natürlich wie an kaum einem anderen Ort. Den Lehrern ist jeder Schüler wichtig und alle Jungen kennen einander gut. Es würde schon eine groβe Anstrengung erfordern, hier Auβenseiter zu bleiben! Mein Sohn ist selbstbewusster und selbstsicherer geworden, und er möchte nie wieder von Chavagnes weggehen – jedenfalls nicht, bevor es Zeit ist, zur Uni zu gehen: mal sehen, in welchem Land…!

Wiebke Micallef Eynaud

Ausführliche Informationen zu Katholischen Internaten für Jungen finden Sie unter: http://www.chavagnes.org/

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